Schon als Kind war Pakistan für mich mehr als nur ein Land auf der Landkarte. Es war ein Stück Zuhause in der Ferne. Fast jedes Jahr reisten wir als Familie dorthin. Für mich war es der Ort meiner schönsten Kindheitserinnerungen, das Land, in dem meine Eltern geboren und aufgewachsen sind. Die Sommerferien verbrachten wir bei den Großeltern: Das Haus war voller Leben, der Duft von frisch gekochtem Essen lag in der Luft, und die Tische waren reichlich gedeckt. In dieser kleinen Welt schien alles gut zu sein.
Doch draußen, jenseits der vertrauten Wände, begegnete ich einer anderen Realität. Menschen, die auf den Straßen bettelten. Kinder, die Blumen verkauften, um ihre Familien zu unterstützen. Szenen, die in Pakistan zum Alltag gehören und die ich als Kind nur am Rande wahrnahm, ohne sie wirklich zu verstehen. Als ich mich in diesem Jahr auf meine Projektreise nach Pakistan vorbereitete, wusste ich zwar, was mich beruflich erwartete, aber nicht, wie sehr diese Reise mein persönliches Bild von Pakistan verändern würde. Ich kannte das Land, und ich kannte die Herausforderungen aus meiner Arbeit als Projektmanagerin. Doch diese Reise hat mein Bild von Pakistan grundlegend verändert.
Am 14. April 2025 landete ich in Lahore, einer der bekannten Metropolen Pakistans, und machte mich von dort aus auf den Weg nach Multan, der Stadt, in der eine unserer beiden Partnerorganisationen ihren Sitz hat. Multan, auch bekannt als die „Stadt der Heiligen“, ist eine der ältesten Städte Südasiens, berühmt für ihre zahlreichen Schreine und ihre reiche Kultur. Auf dieser Projektreise sollte mich Bruder Riaz von unserer Partnerorganisation aus Multan begleiten, der die Reise bis ins kleinste Detail vorbereitet hatte. Insgesamt waren vier Projekte organisiert worden, die ich im Rahmen meines Aufenthalts besuchen, begleiten und bewerten konnte. Zwei davon wurden von Br. Riaz und seinem Team in Multan umgesetzt: Zum einen eine Lebensmittelverteilung in den Distrikten Multan, Muzaffargarh, D.G. Khan, Rajanpur und Jhang, zum anderen ein vierwöchiger Nähkurs für 60 bedürftige Frauen in Multan. Br. Riaz war es wichtig, dass ich auf dieser Reise nicht nur die Projekte selbst kennenlerne, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Lebensrealitäten vor Ort entwickle. Daher hatte er verschiedene Zwischenstopps eingeplant, um mir einen umfassenderen Einblick in die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten der Region zu ermöglichen. Diese Eindrücke sollten als Grundlage dienen, um zukünftige Projekte noch gezielter und nachhaltiger gestalten zu können.
Am frühen Morgen des 15. April begann meine Reise. Unsere erste Station war Choti Zareen, eine Stadt im Distrikt Dera Ghazi Khan, wo Br. Riaz freundlicherweise eine kleine Willkommenszeremonie organisiert hatte, an der auch zahlreiche Begünstigte teilnahmen. Kurz darauf trafen auch die Transporter mit den Lebensmittelpaketen ein, die an jede anwesende Familie verteilt werden sollten.
Die Verteilung war gut organisiert und verlief ruhig und strukturiert. Ich hatte dabei die Gelegenheit, mit einigen der Frauen ins Gespräch zu kommen. Dass ich Urdu, die Amtssprache Pakistans, beherrsche, vereinfachte die Kommunikation erheblich. Viele Begünstigte erzählten mir, wie sehr sie sich über die Zusammenstellung der Lebensmittel freuten. Jedes Paket enthielt 10 kg Mehl, 5 kg Reis, 3 kg Ghee, 3 Liter Speiseöl, 1 kg Zucker, 500 g Tee, 500 g Chilipulver, 500 g Gewürzmischung sowie 2 kg verschiedener Hülsenfrüchte – Kichererbsen, schwarze Linsen, Mungbohnen und rote Linsen.
In unseren Gesprächen äußerten die Frauen auch ihre Wünsche für die Zukunft: viele sprachen über den Bedarf an Bildungskursen und Erwerbshilfen – insbesondere in Form von Nähmaschinen. Einige verfügten bereits über Grundkenntnisse im Nähen und benötigten lediglich eine Maschine, um eigenständig arbeiten zu können. Andere wünschten sich eine umfassende Schulung, um neue Fähigkeiten zu erlernen. Zu diesem Zeitpunkt fand bereits ein Nähkurs in Multan statt, den ich am folgenden Tag besuchen sollte. Der Halt in Choti Zareen machte mir deutlich, wie groß der Bedarf an Bildungs- und Einkommensförderungsmaßnahmen ist.
Unsere nächste Station war eine Klinik in Fazilpur, eine Stadt im Distrikt Rajanpur. Die Klinik gehört Dr. Kareem, der uns herzlich empfing. Aus reiner Hilfsbereitschaft stellt er seine Räumlichkeiten regelmäßig unserer Partnerorganisation kostenlos zur Verfügung – zur Lagerung und Verteilung von Hilfsgütern für die Menschen in seiner Umgebung. In der Region genießt er großes Vertrauen. Die Menschen kennen ihn und wissen, dass er sich aufrichtig für ihr Wohl einsetzt. Wir hielten dort kurz an, um unsere Fahrzeuge mit den Lebensmittelpaketen zu beladen, die noch am selben Tag verteilt werden sollten. Einen Teil der Pakete ließen wir bei Dr. Kareem zurück, wo sie am Abend an weitere Familien ausgegeben werden sollten.
Nachdem wir die Klinik in Fazilpur verlassen hatten, setzten wir unsere Fahrt fort. Unterwegs zeigte uns Br. Riaz eine kleine Wasserstelle in einem bergigen Gebiet, das als Koh-e-Suleman bekannt ist, genauer gesagt in der Region Marri. Das Wasser dort war trüb, von graugrüner Farbe, und in der kleinen Pfütze schwammen kleine Fische und andere Wassertierchen. Trotz der offensichtlichen Verunreinigung kamen Dorfbewohner, darunter auch zwei Kinder, um ihre Flaschen mit diesem Wasser zu füllen – Wasser, das sie nicht nur zum Waschen, sondern auch zum Trinken nutzten.
Br. Riaz wollte uns an diesem Ort die drängende Wasserproblematik der Region vor Augen führen, wie viele Familien keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und täglich gezwungen sind, gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen. Es war ein eindrücklicher Moment, der die Bedeutung von nachhaltigen Wasserprojekten noch einmal deutlich machte.
Nach diesem Halt fuhren wir weiter und erreichten Marri Bala, eine abgelegene Bergregion, in der die Menschen in einfachen Hütten und Zelten leben. Dort fand die nächste Lebensmittelverteilung statt. Während die Vorbereitungen liefen, kam ein Bewohner auf mich zu und bot an, mir seine Wohnsituation zu zeigen. Ich folgte ihm den Hang hinauf – zu einem kleinen Zelt aus Planen und Stoffresten, davor ein einfaches Bettgestell aus Holz und Seil. Rundherum standen einige Ziegen und Kühe, die im Abendlicht weideten.
Besonders im Winter wird das Leben in den Bergen hart. Wenn die Temperaturen sinken, bieten die provisorischen Zelte kaum Schutz vor Kälte und Wind. Solche Projektreisen sind wichtig, um den Bedarf vor Ort realistisch einzuschätzen und gezielt handeln zu können. Aus diesem Besuch entstand ein neues Projekt: In Rajanpur entstehen derzeit zehn vorgefertigte, solarbetriebene Fiberglashäuser für besonders bedürftige Familien – als sicherer, wetterfester Wohnraum. Im Anschluss erfolgte die vorletzte Verteilung von Lebensmitteln für diesen Tag.
Danach kehrten wir zur Klinik in Fazilpur zurück, wo die letzte Verteilung des Tages stattfand. Währenddessen nutzte ich die Gelegenheit, um mit den Begünstigten über ihre aktuellen Bedürfnisse und Erfahrungen aus früheren Projekten zu sprechen.
Eine ältere Frau meldete sich zu Wort und erzählte, dass die Winterhilfe im vergangenen Jahr optimal auf ihre Bedürfnisse abgestimmt war. Damals erhielten die Familien Bodenmatratzen, Steppdecken, Kopfkissen, Pullover und Schals für Männer und Frauen sowie Kinderpullover und Handschuhe. Auch in diesem Jahr ist eine ähnliche Verteilung geplant – ergänzt um Moskitonetze für Familien, die von den jüngsten Überschwemmungen betroffen sind. Pakistan wurde in diesem Jahr erneut von starken Fluten heimgesucht, weshalb mehrere Hilfsmaßnahmen angelaufen sind, um Zelte, warme Mahlzeiten und Trockenlebensmittel bereitzustellen.
Am nächsten Tag erfolgten zwei weitere Lebensmittelverteilungen in zwei Orten des Distrikts Muzaffargarh, die ich begleiten durfte. Zum Abschluss besuchte ich das Büro unserer Partnerorganisation, in dem der Nähkurs stattfand. Eine Teilnehmerin führte mich durch den Raum – die Frauen wirkten engagiert, wissbegierig und stolz auf ihre gefertigten Stücke. Einige hatten ihre Kinder dabei, weil sie keine Betreuung fanden, ließen sich davon aber nicht abhalten, aktiv mitzumachen. Der Kurs bot praktische Schulungen im Nähen, Sticken, Entwerfen und Färben und richtete sich an besonders bedürftige Frauen, darunter 14 Witwen, die gemeinsam 63 Waisenkinder versorgen. Nach erfolgreichem Abschluss erhielten alle Teilnehmerinnen eine eigene Nähmaschine, ein Nähset und ein Zertifikat.
Von Multan ging es weiter nach Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, wo ich während meines Aufenthalts untergebracht war. Unsere zweite Partnerorganisation hat ihren Sitz in Peshawar, der Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, nahe der Grenze zu Afghanistan. Aufgrund der Sicherheitslage gilt die Region als sensibel, weshalb empfohlen wurde, nicht direkt in Peshawar zu übernachten.
Von Islamabad aus reiste ich weiter nach Nowshera, wo in einer Grundschule eine Verteilung von Schulmaterialien stattfand. Dort wurden 400 bedürftige Kinder, darunter 71 Waisen, mit neuen Schulutensilien ausgestattet. Obwohl der Schulbesuch kostenlos ist, können sich viele Familien die notwendigen Materialien nicht leisten. Jedes Kind erhielt ein vollständiges Schulpaket mit Ranzen, Heften, Stiften, Farben und weiterem Lernmaterial. Die Freude der Kinder war spürbar – viele hielten stolz ihre neuen Schulsachen in den Händen.
Am nächsten Tag wurde dieselbe Schule im Distrikt Nowshera in ein medizinisches Camp umgewandelt. Die Räume wurden gründlich gereinigt und als Behandlungsräume vorbereitet. Ziel war es, den Bewohnerinnen und Bewohnern einer benachteiligten Gemeinde kostenlosen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Insgesamt 630 Männer, Frauen und Kinder erhielten an diesem Tag medizinische Untersuchungen, Diagnosen und Behandlungen. Ein engagiertes Team aus Ärzten – darunter ein Allgemeinmediziner, eine Gynäkologin und ein Kinderarzt – sowie drei Krankenschwestern standen den Patienten zur Seite. Bei Bedarf wurden Labortests und Ultraschalluntersuchungen direkt vor Ort durchgeführt, und die benötigten Medikamente konnten sofort kostenlos ausgegeben werden. Besonders Frauen und Kinder profitierten von der spezialisierten Betreuung.
Trotz des großen Andrangs arbeiteten die Teams mit hoher Professionalität und großem Engagement. Gleichzeitig zeigte der Besuch, dass künftig zusätzliches medizinisches Personal hilfreich wäre, um den Bedarf noch besser decken zu können. Gerade solche Projektreisen machen deutlich, wie wertvoll die direkte Erfahrung vor Ort ist, um laufende Projekte weiterzuentwickeln und gezielt zu verbessern.
Ich kehre mit vielen Eindrücken, wertvollen Erfahrungen und neuen Ideen zurück, die ich gemeinsam mit unseren Partnern in die Entwicklung zukünftiger Projekte einfließen lassen kann. Diese Reise hat mir geholfen, die Bedürfnisse der Menschen vor Ort noch besser zu verstehen und bestätigt, wie wichtig es ist, ihnen zuzuhören, um langfristig wirksame Hilfe zu leisten.